In unserer Zeit eine neue Konzertreihe aufzubauen, ist ein Wagnis. Karl-Werner Joerg ließ sich im Jahr 2000 auf dieses Wagnis ein und hatte
Erfolg. Ein Interview mit dem Gründer, Organisator und künstlerischen Leiter der Bad Homburger Schlosskonzerte.
Herr Joerg, wenn Sie an die letzten 24 Saisons zurückdenken, was kommt Ihnen da spontan in den Sinn?
Spontan denke ich an die vielen Menschen, denen zu danken ist, dass das
alles möglich wurde.
Dann beginnen wir doch mit einer Danksagung. Wem wollen Sie danken?
Oh je, hoffentlich vergesse ich jetzt niemanden. Als erstes danke ich meiner Frau, die nicht nur im Hintergrund viel mitarbeitet, sie ist auch bei
allen Konzerten dabei und ganz wichtig, sie ist mein „Regulativ“ und erste Ansprechpartnerin in vielen Fragen. Meinen Mitarbeiterinnen im Büro
möchte ich herzlich danken, weil sie meine gute, aber auch meine schlechte Laune ertragen. Dem Kuratorium Bad Homburger Schloss und seinen ehemaligen und aktuellen Verantwortlichen danke ich für die Unterstützung seit der ersten Stunde, wie auch den Mitarbeiter:innen der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen, mit denen wir sehr vertrauensvoll zusammenarbeiten. Ich danke allen Stifter:innen und Spender:innen der Stiftung Bad Homburger Schlosskonzerte, wie auch unseren Gremienmitgliedern des Vorstands, meinem Vertreter Axel Vedder und Brigitte Kölsch, ebenso wie Dietmar Schmid und Christian Recker, die Vorsitzenden des Stiftungsrats, und Herrn Oberbürgermeister Alexander Hetjes, der als Kulturdezernent den Sitz der Stadt Bad Homburg wahrnimmt. Alle setzen sich für unsere Ziele ein und das mit einem sehr guten einvernehmen. Ich möchte auch unserem „Langzeitsponsor“, der Vedder Knoll AG, und unserem Hauptsponsor, der Frankfurter Volksbank, meinen herzlichen Dank aussprechen. Sicher habe ich jetzt jemanden vergessen. Hoffentlich ist dieoder derjenige nicht nachtragend. [schmunzelt]
Wie kamen Sie auf die Idee zu den ohnehin schon bestehenden Reihen mit klassischer Musik in Bad Homburg und Umgebung noch eine weitere hinzuzufügen?
Als ich zum ersten Mal Anfang der 1990er Jahre in die Schlosskirche kam, war ich beeindruckt. Ich wusste sofort, dass ich in diesem wunderschönen Raum Konzerte veranstalten wollte. Für mich stimmte hier alles: Der Altarraum mit dem schon vorhandenen „Orchesterzimmer“, damit meine ich den mit Logen umbauten Altarraum, der hervorragend als Bühne geeignet ist, und die perfekte Akustik haben mich überzeugt.
Hat Sie das Scheitern der Vorgängerreihe der Bad Homburger Schlosskonzerte, die es bis 1995 gab, nicht nachdenklich gemacht?
Natürlich habe ich mir Gedanken gemacht, wie ich Orchesterkonzerte mit noch nicht einmal 300 Sitzplätzen finanzieren kann. Aber am Ende hat mich mein Enthusiasmus mitgerissen und ich habe mit der Konzeption begonnen.
Wann war das?
Das war Ende der 1990er Jahre. Die Schlosskirche war, was professionelle Konzerte angeht, verwaist.
Wie sind Sie bei der Konzeption der Reihe vorgegangen?
Zunächst einmal habe ich gründlich recherchiert, was es ca. 25 Kilometer rund um Bad Homburg für klassische Konzerte gibt. Dabei ist mir aufgefallen, dass es im gesamten Rhein-Main-Gebiet keine Konzertreihe mit Kammerorchestern gibt. Allenfalls hier und da mal Einzelkonzerte. Das war meine Nische.
Aber ein Konzept ist das ja noch nicht.
Stimmt. Deshalb habe ich noch nach einem unverwechselbaren Merkmal gesucht. In der Marketingsprache redet von einem USP, einem Unique Selling Point. In Gesprächen mit jungen Orchesterdirigenten habe ich herausgehört, dass es schwer ist, an Engagements zu kommen. Denen wollte ich helfen. Ich hatte dann die Idee, einen Wettbewerb für Dirigent:innen auszuloben, denn auch auf diesem Gebiet gab es in ganz Deutschland zu der Zeit keinen Wettbewerb für professionelle Orchesterdirigent:innen. Der Solti-Wettbewerb in Frankfurt und der Mahler-Wettbewerb in Bamberg sind erst 2002 bzw. 2003 ins Leben gerufen worden.
Jetzt hatten Sie also die Idee für einen Dirigentenwettbewerb und wie ging es weiter?
Ich habe Kontakt zu Kammerorchestern aufgenommen und mit den Verantwortlichen vertrauliche Gespräche geführt, denn die Orchester
mussten die Idee ja mittragen. Am Ende stand das Konzept, dass der Bad Homburger Dirigentenwettbewerb als Preis beinhaltet, dass der oder
die Gewinner:in das jeweilige Orchester bei vier Konzerten in der Saison in Bad Homburg dirigieren darf. Darüber hinaus haben wir die vier
Konzerte von einem Tonmeister mitscheiden lassen und haben am Ende der Saison daraus eine CD produziert, die in allen Fällen die erste CD des Preisträgers bzw. der Preisträgerin war. Also die erste professionelle Dokumentation der Arbeit als Dirigent:in.
Wie haben Sie das alles finanziert?
Als das Konzept stand, bin ich auf Sponsorensuche gegangen. Bei der BHF-Bank in Frankfurt habe ich Verantwortliche gefunden, darunter
auch Dietmar Schmid, damaliger Vorstand, die sich auf unser, bis dahin wahrscheinlich, weltweit einzigartiges Konzept eingelassen haben. Die
neu gegründete Stiftung der BHF-Bank hat die Finanzierung des Preisgeldes in Höhe von 20.000 Mark sichergestellt und die Bank selbst hat die
Konzertreihe und die CD-Produktion unterstützt.
Wie ging es dann weiter?
Ich habe das Kuratorium Bad Homburger Schlosskirche, wie es damals noch hieß, angesprochen und habe die Zusage bekommen, dass wir die
Schlosskirche kostenfrei nutzen dürfen. Auch bei der Stadt Bad Homburg bin ich vorstellig geworden, denn wir wollten ja die „Bad Homburger“
Schlosskonzerte wieder ins Leben rufen und den „Bad Homburger“ Dirigentenpreis etablieren. Aber das Ergebnis war ernüchternd. Vom
damaligen Oberbürgermeister, Reinhard Wolters, bekam ich einen Brief, in dem man wegen der „Nähe zu Frankfurter Firmen“ die Unterstützung ablehnte. Am Ende übernahm die damalige Hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Ruth Wagner, die Schirmherrschaft für die erste Saison und unterstützte uns.
Dass sich die Stadt Bad Homburg so wenig dafür interessierte, ist doch verwunderlich.
Ja, das hat mich damals echt getroffen. Nachdem der Preis, gerade in den Anfangsjahren Furore gemacht hat, hat sich nach ihrer Wahl 2003 Frau Dr. Jungherr dann mit einem Grußwort in unseren Programmheften verewigt. Unterstützung erhielten wir aber auch dann noch nicht. Den ersten Euro von der Stadt Bad Homburg haben wir dann unter Oberbürgermeister Korwisi bekommen. Die damalige Kulturdezernentin Beate Fleige interessierte sich für unsere Arbeit und hat das in Gang gesetzt.
Und wie sieht es heute aus?
Nicht mehr zu vergleichen mit den Anfangsjahren. Die Stadt Bad Homburg sieht unsere kontinuierliche Arbeit für die Kultur in Bad Homburg
und unterstützt unsere Stiftung nun regelmäßig. Dafür sind wir Herrn Oberbürgermeister Hetjes, der als Kulturdezernent auch für das Ressort
Verantwortung trägt, sehr dankbar.
Nun haben wir über die Anfänge gesprochen. Das Ganze Jahr für Jahr am Laufen zu halten, ist sicher eine ebenso große Herausforderung.
Das stimmt. Ich erinnere mich noch an die erste Überschrift in der Taunus-Zeitung. Der damalige Rezensent, Dr. Michael Jacob, textete in der
Überschrift „Ein fulminanter Auftakt“. Die Reihe lief gut an und erhielt Anerkennung weit über die Bad Homburger Grenzen hinaus. Aber schon
2002 war der Bad Homburger Dirigentenpreis nicht mehr der höchstdotierte Dirigentenpreis in Europa. In Frankfurt startete in der Alten Oper
der Solti-Wettbewerb und wir in Bad Homburg standen im Schatten.
Wie sind Sie damit umgegangen?
Das konnte natürlich nicht so bleiben. [lacht] Ich überlegte mir, wie ich den Bad Homburger Dirigentenpreis auf eine höhere Stufe heben konnte. Ich besuchte in der Folgezeit das Abschlusskonzert des Dirigentenforums des Deutschen Musikrats. Denn das Dirigentenforum vergab alle zwei Jahre einen Förderpreis an einen seiner Stipendiat:innen. Ich hatte die Idee, dass wir uns zusammenschließen könnten und daraus einen großen Preis kreieren. Meine ersten Gespräche führte ich dann 2003 in Bonn mit dem damaligen Geschäftsführer des Dirigentenforums, Andreas Bausdorf. Bausdorf war erst skeptisch, konnte sich aber dann mit der Idee eines Deutschen Dirigentenpreises anfreunden.
Warum war Herr Bausdorf skeptisch?
Es ging wiederum ums Geld. Wir einigten uns darauf, dass wir das Projekt gemeinsam angehen wollen, wenn die Finanzierung des Ganzen gesichert sei. Ich konnte glücklicherweise die BHF-Bank und die BHF-Bank-Stiftung überzeugen in das geänderte, wesentlich umfangreichere Konzept einzusteigen. Das neue Preisgeld waren insgesamt 35.000 Euro und so waren wir wieder der höchstdotierte Dirigentenwettbewerb in Europa. [schmunzelt]
Und dann?
Unser Konzept sah vor, dass wir das Projekt „ganz oben“ aufhängen wollten. Ziel war, das Abschlusskonzert in Deutschlands berühmtesten Konzertsaal zu veranstalten, der Berliner Philharmonie. Also führten Bausdorf und ich Gespräche mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin über eine Kooperation. Am Ende hatten wir es wirklich geschafft: Am 8. Oktober 2006 fand zum ersten Mal der Deutsche Dirigentenwettbewerb in der Philharmonie in Berlin statt. Orchester war das Deutsche Symphonie- Orchester Berlin, Vorsitzender der Jury war Sir Roger Norrington und die Schirmherrschaft hatte Bundespräsident Horst Köhler übernommen. 2.200 Menschen waren im Saal!
Welche Auswirkungen hatte das für die Bad Homburger Schlosskonzerte?
Kaum welche. Der Preis war von mir so konzipiert, dass es neben dem Hauptpreis, dem Deutschen Dirigentenpreis, noch zwei Sonderpreise gab, die beide mit 10.000 € dotiert waren. Diese beiden Preisträger kamen dann in den Folgejahren nach Bad Homburg und dirigierten die Orchester bei den Bad Homburger Schlosskonzerten. So hatten wir immer die „Crème de la Crème“ der jungen Top-Dirigent:innen in Bad Homburg.
Warum sind die Bad Homburger Schlosskonzerte 2015 aus der Kooperation mit dem Deutschen Dirigentenpreis ausgestiegen?
Von 2009 bis 2015 haben wir den Preis im Konzerthaus am Gendarmenmarkt in Berlin in Kooperation mit dem Konzerthausorchester durchgeführt. In den Reihen der Verantwortlichen des Musikrats gab es Bestrebungen, den Preis umzukrempeln. Zum einen hat die neue Konzeption nicht mehr zu unseren Anforderungen gepasst und die Idee den Preis in Köln anzusiedeln, hat auch unseren langjährigen Kooperationspartner, die BHF-Bank und deren Stiftung bewogen auszusteigen.
Jetzt war der „USP“ weg, wie Sie es vorhin nannten. Wie wollten Sie das ersetzen?
Ersetzen brauchten wir das nicht. Die Bad Homburger Schlosskonzerte waren zu dieser Zeit so etabliert, dass ich keine Sorge hatte, dass das
Publikum deswegen fernbleibt. Wir haben uns ab 2015 von der Förderung von Dirigent:innen auf die noch stärkere Förderung junger hochbegabter Solist:innen verlegt, was wir schon immer gemacht haben, aber bis 2015 noch nicht mit einem Konzept unterlegt hatten. Hier kommt unsere 2011 errichtete Stiftung Bad Homburger Schlosskonzerte ins Spiel.
Was war der Grund für die Errichtung der Stiftung?
Wir mussten unsere Konzerte auf eine breitere finanzielle Basis stellen, um mehr Planungssicherheit zu bekommen. Das kurz zuvor gegründete
Poesie- und Literaturfestival fegte mit einem Aufgebot an bekannten Schauspieler:innen den Sponsorenmarkt leer.
Wann war es dann soweit?
Schon 2006, nach der ersten Durchführung des Deutschen Dirigentenpreises, sprach ich mit Dietmar Schmid, damals noch im Vorstand der BHF-Bank, über die Errichtung einer Stiftung. 2007 entwickelte ich das Konzept dafür. Aber es dauerte noch 4 Jahre, bis wir am 24. Mai 2011 das
Stiftungsgeschäft tätigen konnten. Als Gründungsstifter waren damals Gisela Magiera, Dietmar Schmid, Christian Recker und Axel Vedder dabei.
Dazu kamen die damalige Kulturdezernentin Beate Fleige, die ehemalige Landtagsabgeordnete Brigitte Kölsch und meine Wenigkeit.
Jetzt hatten Sie die Stiftung Bad Homburger Schlosskonzerte. Hat sich Ihre Arbeit dadurch verändert?
Anfangs nicht. Wir mussten erst einmal Erträge erwirtschaften, um die Gelder in die Kulturarbeit investieren zu können, weil das Stiftungskapital nicht angetastet werden darf. Ich hatte aber von Anfang an die Idee mit Hilfe der Stiftung einen Konzertflügel anzuschaffen. Denn immer, wenn wir für ein Konzert einen Flügel benötigten, mussten wir einen mieten und das ging ins Geld. Stiftungsrat und Stiftungsvorstand waren einverstanden, dass wir das Projekt in Angriff nehmen sollten. Ich habe also bei der Stiftungsaufsicht einen Antrag auf Kapitalumwandlung in einen „beständigen“ Sachwert gestellt. Das wurde glücklicherweise genehmigt. Jetzt mussten die Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen noch zustimmen, dass wir das Instrument dauerhaft in der Schlosskirche stehen lassen dürfen. Und auch das wurde positiv beschieden, wofür ich bis heute sehr dankbar bin. Jetzt war der Weg frei und wir konnten einen neuen Schimmel K 230 T kaufen. Ein klangschönes, handgearbeitetes Instrument – perfekt für die Schlosskirche und unsere Konzerte geeignet.
Die Stiftung ist errichtet und ein Konzertflügel gekauft. Kommen wir wieder zurück zur Förderung des musikalischen Nachwuchses.
Nochmal zum Flügel … Nachdem wir den hatten, begann ich sofort mit der Reihe Meisterpianisten, denn das war seit dem ersten Tag eine Idee in meinem Hinterkopf. Und richtig, das Thema Förderung des Nachwuchses hatten wir noch nicht abschließend behandelt. Nachdem wir 2015 aus der Dirigentenförderung ausgestiegen waren, haben wir uns darauf konzentriert.
Wie fördert man junge Musiker:innen?
Da gibt es keinen „Königsweg“. Förderung ist eine sehr individuelle Angelegenheit. Aber was alle brauchen, ist eine Bühne. Unsere Förderung
bestand schon immer darin, die Ersten zu sein, die sich trauen, sehr junge Musiker:innen auf die professionelle Bühne zu stellen und nicht auf die „Bühnen“ der Schul-, Privat- und sonstiger „Hinterzimmer“konzerte.
Und wen haben Sie auf die Bühne der Bad Homburger Schlosskonzerte gestellt?
Ich hatte von Anfang an einen Blick für besondere Begabungen. Alle hier aufzuzählen, würde den Rahmen sprengen, aber schon in der ersten
Saison habe ich den damals 15-jährigen Geiger Sergey Khachatryan engagiert, der sich später zu einem international gefragten Solisten entwickelte. Oder auch den Cellisten Maximilian Hornung, den ich bei einem Meisterkurs hörte und noch als Teenager zu unseren Konzerten eingeladen habe. Das beste Beispiel ist natürlich der Pianist Igor Levit, der mir als 15-jähriger Jungstudent in der Musikhochschule in Hannover im Studierzimmer vorspielte und den ich sofort für mehrere Konzerten engagierte. Und Igor haben wir sogar auf einer unserer CDs verewigt. Er hat 2006 mit dem ersten Gewinner des Deutschen Dirigentenpreises, dem Esten Mihkel Kütson, am Dirigierpult in der Bad Homburger Schlosskirche Mozarts Klavierkonzert KV 271, das berühmte „Jeunehomme“-Konzert aufgenommen. Was für eine Geschichte ...
Wie haben Sie das ab 2015 gemacht?
2015 hat die Stiftung das Mentor-Stipendium ins Leben gerufen. Auch hier haben wir einen neuen Weg eingeschlagen. Wir nehmen schon sehr junge Musiker:innen ins Visier, die wir mit unserem Erfahrungsschatz und unseren Verbindungen auf dem Weg zum Profi begleiten. Wir machen sie zuerst mit einer eigenen Webadresse im Internet sichtbar, sorgen für professionelle Künstlerfotos, geben Hilfestellung in wichtigen Entscheidungen und ermöglichen ihnen Auftrittserfahrung als Solisten und Kammermusiker zu sammeln. Wir wollen, wie es der Name des Stipendiums ausdrückt, ein „Mentor“, ein Rückhalt für die jungen Leute sein. 2019 kam dann das Festival des Deutschen Musikwettbewerbs dazu. In diesen Konzerten bringen wir die beim Deutschen Musikwettbewerb ausgezeichneten jungen Musiker:innen als „frisch gebackene“ Preisträger:innen nach Bad Homburg.
Die Bad Homburger Schlosskonzerte haben verschiedene Reihen. Von den Meisterpianisten bis zu den Kinder-Schlosskonzerten decken Sie alle Genres ab und grenzen diese auch gegeneinander ab. Warum?
Ja, das stimmt. Ich habe von Beginn an die Reihe der Orchesterkonzerte wie eine Marke geführt. Vom ersten Konzert an bis heute können Sie
in jedem der Orchesterkonzerte auf der Bühne ein Kammerorchester, eine Solistin, bzw. einen Solisten, ein abwechslungsreiches und – darauf
lege ich sehr großen Wert – dramaturgisch durchdachtes Programm erwarten, welches stilistisch nicht gebunden ist, heißt: Vom Barock bis zur
Gegenwart spielen wir alles, was auf unsere Bühne passt. Das goutiert das Stammpublikum, die Abonnentinnen und Abonnenten, die bei uns in jedem Konzert die Hälfte des Publikums ausmacht. Wenn ich anfange diese Reihe mit Kammermusik und Solo-Klavierabenden zu mixen, verliere ich mein Stammpublikum.
Bei den Kinder-Schlosskonzerten haben Sie sich seit 2023 einen neuen Kooperationspartner gesucht. Mit dem Jugendkulturtreff e-werk hat das Schloss nicht viel zu tun.
Da sprechen Sie einen Punkt an, der mir anfangs auch etwas „Bauchschmerzen“ bereitet hat. Wir haben Kinder-Schlosskonzerte in der
Schlosskirche angeboten und in Kooperation mit den Staatlichen Schlössern und Gärten Hessen auch in anderen Räumen des Schlosses und in
den Außenanlagen. In der Schlosskirche war mir das Ganze zu steif, weil wir hier durch die „natürliche“ Trennung zwischen Zuschauerraum und
Bühne die Distanz zu den Kindern nicht abbauen konnten. Die Konzerte in den anderen Räumen des Schlosses und auch das Wandelkonzert waren mit einem riesigen Aufwand verbunden, den wir dauerhaft nicht leisten konnten. Mit dem e-werk haben wir einen Ort gefunden, den unsere Zielgruppe schon kennt, weil hier viele Veranstaltungen für Kinder und Familien stattfinden, und zum anderen ist die Halle vollkommen problemlos zu bespielen und die Kinder sind nahe an den Musiker:innen dran.
Gab es auch Projekte, die nicht so gut liefen oder laufen?
Ja, leider gab es die auch. Zusammen mit dem Geiger Christian Tetzlaff, der bis 2012 in Bad Homburg wohnte, haben wir von 2006 an alle zwei
Jahre ein Kammermusikfest organisiert. Christian Tetzlaff hat seine fantastischen Musikerkolleg:innen, wie Lars Vogt, Elisabeth Kufferath,
Sibylle Mahni oder Paul Rivinius mit nach Bad Homburg gebracht. Ich konnte dann junge Musiker:innen, wie Gabriel Schwabe, Igor Levit, Maximilian Hornung, Tianwa Yang, Alexander Schimpf oder Nils Mönkemeyer „beisteuern“. Zusammen wurde in verschiedenen Ensembles musiziert. Das war genial und hatte sich gut etabliert. Als Christian Tetzlaff aus Bad Homburg wegzog und aus persönlichen Gründen seitdem auch hier nicht mehr aufgetreten ist, habe ich die Chance gesehen, einer heimlichen Leidenschaft zu frönen, dem Lied. Mit dem Tenor Christian Elsner fand ich auch einen sehr renommierten Partner, mit dem ich 2014 und 2016 das neue Konzept als Lied- und Kammermusikfest umsetzte. Leider mussten wir das Ganze wieder einstellen. Wir hatten nicht den Publikumszuspruch, den wir uns erhofft hatten. Hier musste ich lernen, dass die Zielgruppe für das Genre sehr, sehr klein ist und es wahrscheinlich auch deshalb, außer an der Oper Frankfurt, keine Reihe mit Liederabenden im gesamten Rhein-Main-Gebiet und weit darüber hinaus mehr gibt.
Aber Sie veranstalten doch weiterhin Kammerkonzerte.
Tun wir, aber eben nicht mehr als Festival und auch nicht mehr als Reihe, eher im kleineren Rahmen und seit der Saison 2023/2024 auch mit einer speziellen Ausrichtung. Wir führen Komponisten auf, die man nicht kennt oder bringen Musik auf die Bühne, die wir aus Archiven ausgegraben und wieder zugänglich gemacht haben. Wir haben als Kooperationspartner der Stadt Offenbach, die das Projekt „Mozart André Offenbach – der Klang der Zeitkapsel“ zum 250-jährigen Bestehen des Musikverlags Johann André aufgelegt hat, eine ganze Reihe von Konzerten übernommen, in denen neue „alte“ Musik aufgeführt wird. Oder wir haben George Louis Onslow aufgeführt, ein Beethoven-Zeitgenosse und hervorragender Komponist, der aber heute vollkommen unbekannt ist.
Meiner Recherche nach ist das aber nicht ganz neu, dass Sie unbekanntes oder verschollenes „ausgraben“. Das haben Sie schon früher gemacht. Ich erinnere mich an die „Caterina di Guisa“.
Ja, das war 2017. Es war ein großartiges Projekt und ein riesiger Erfolg. Einer Oper nach 200 Jahren wieder neues Leben einzuhauchen, war ein
einzigartiges Erlebnis für mich. Es war fast wie etwas totes zum Leben zu erwecken, weil es die Oper von Carlo Coccia, übrigens ein Zeitgenosse und Kollege von Rossini in Mailand, nicht einmal auf CD oder Schallplatte gab. Es waren nur die zum Teil fragmentierten Noten der Urfassung, die wir aufführten, da. Das war bislang auf diesem Gebiet unser Meisterstück und es gab großes Schulterklopfen. Aber es hat mich aber auch viele Nerven gekostet.
Wie sieht es mit zeitgenössischer Musik aus?
Wir führen immer wieder zeitgenössische Musik auf. Wichtig ist mir dabei, dass die Werke in das dramaturgische Konzept des Konzerts passen.
Wir haben gerade in den letzten Jahren zwei Kompositionsaufträge vergeben. Zu unserem 20-jährigen Jubiläum haben wir dem Wiener Komponisten Hans Kunstovny einen Kompositionsauftrag erteilt, in dem wir das Beethovenjahr nachklingen ließen. Die „Echoes of Beethven“ für Orchester und Saxophonquartett waren ein großer Erfolg. Im Rahmen von „Mainly Mozart“ haben wir einen Kompositionsauftrag für ein Kammermusikwerk bei Theodor Köhler, einem Frankfurter Komponisten, in Auftrag gegeben. Auch ein sehr gutes Stück.
Wenn man 25 Jahre Programme für Kammerorchesterkonzerte macht, hat man da nicht mal alles gespielt, was es für solche Besetzungen gibt?
Wenn man alle möglichen Kompositionen in Betracht zieht, könnte man vielleicht 100 Jahre unterschiedliche Programme zusammenstellen, aber dann hat man keine Programme mehr, die einer „Handschrift“, einem „Stil“ folgen. Und man muss akzeptieren, dass auch Mozart nicht nur
tolle Stücke geschrieben hat. Es gibt einfach viel Musik, die ich nicht aufführen will, weil sie meinem Anspruch nicht genügt oder sich nicht in
die Programme unserer Reihe integrieren lassen, beispielsweise weil die Besetzung des Orchesters nicht passt.
Können Sie das mal an einem Beispiel verdeutlichen?
Da gibt es viele Beispiele. Nehmen wir das zweite Brandenburgische Konzert von Bach. Die Streicherbesetzung ist dabei kein Problem, aber
wenn man sich die weitere Besetzung anschaut mit Trompete, Blockflöte, Oboe und Cembalo, kenne ich kein zweites Stück, was diese Besetzung hat. Wenn ich jetzt kombinieren will, muss ich entweder komplett im Barock bleiben, um Cembalo und Blockflöte weiter einsetzen zu können, oder was mit Trompete oder Oboe aussuchen und da ist die Gefahr sehr groß, dass die Partitur – wie es die Regel ist – 2 Trompeten oder 2 Oboen verlangt. Mal ganz davon abgesehen, dass ein Teil der Streicher beim 2. Brandenburgischen in der Garderobe sitzt, weil die einfache Bläserbesetzung den massiven Streichereinsatz nicht erlaubt. Oder nehmen wir „Tuttifäntchen“, ein Werk von Paul Hindemith, was ich gerne mal aufführen würde. Aber die Besetzung mit je einer Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott, Horn, Trompete, Pauke/Schlagzeug und Streichern ist mit nichts kombinierbar oder ich nehme in Kauf, dass ich Musiker:innen für ein Stück bezahle und dann wieder nach Hause schicke.
Auf den Punkt gebracht: Auch das ist eine Frage des sehr begrenzten Budgets. Wir müssen mit unserem Budget verantwortungsvoll umgehen.
Wie kompensieren Sie die, nennen wir es mal „Mangelverwaltung“?
Die Situation erfordert schon etwas Kreativität, aber ich empfinde es nicht als „Mangel“. Neben den Originalwerken für Besetzungen, die auf der
Bühne der Schlosskirche gut möglich sind, haben wir viele Bearbeitungen im Repertoire. Das sind zum einen historische Bearbeitungen, wie
beispielsweise von Beethovensinfonien, die von seinen Zeitgenossen Ferdinand Ries, Carl Friedrich Ebers oder im Falle seines ersten Klavierkonzerts von Vinzenz Lachner erstellt wurden. Oder auch zeitgenössische Bearbeitungen, die ich in Auftrag gegeben habe. Dazu gehören unter anderem beide Chopin Klavierkonzerte, Schumanns Kinderszenen, die wir in einer Bearbeitung für Streicher haben, oder unsere „erfolgreichste“ Bearbeitung, die Rokoko-Variationen von Tschaikowsky. Diese Bearbeitung haben wir schon an Veranstalter von Dänemark bis Österreich und in ganz Deutschland verliehen. Natürlich spielen wir in entsprechenden Abständen, normalerweise haben wir mindestens fünf Jahre zwischen Wiederholungen, die großen Streicherserenaden von Elgar, Suk, Dvořák, Holst, Janácek, Bartók und natürlich Tschaikowsky. Aber das sind so starke Werke, dass unser Publikum sie sehr gerne ab und zu wieder hört. Um es nochmal deutlich zu sagen, einen „Mangel“ empfinde ich nicht. Trotzdem könnte ein etwas größeres Budget nicht schaden. [schmunzelt]
Was ist gut und was soll sich in den nächsten 25 Jahren ändern?
Was ist gut? Da fragen Sie den Falschen. Sie müssen das Publikum fragen. Hier möchte ich aus der letzten Publikumsbefragung zitieren: Fast
70 % unserer Besucher gibt an, wegen der Programme in die Konzerte zu kommen, dicht gefolgt von der Aussage, dass die Auswahl der Künstler:innen den Ausschlag für den Konzertbesuch gibt. In den zentralen Punkten scheinen wir viel richtig zu machen. Das wollen wir auch nicht ändern, denn diese Dinge beobachten wir sehr genau und passen unser Handeln laufend an. Ich verfolge den Markt getreu dem Motto „Stehenbleiben ist Rückschritt“. Im Fokus stehen immer die Besucher:innen, denn unsere Konzerte sind kein Selbstzweck, sondern für das Publikum gemacht. Was soll sich ändern? Kurzfristig wollen wir unser Angebot etwas straffen und in bestimmten Bereichen mehr spezialisieren. Mittelfristig müssen wir es schaffen, dass unsere Stiftung die finanziellen Möglichkeiten bekommt, das jährlich zu Buche schlagende Defizit komplett auszugleichen. Das wäre schon ein großer Schritt in die richtige Richtung. Langfristig peilen wir das 50-jährige Jubiläum an. [lacht]
Stellen wir uns vor, beim Jubiläum der Bad Homburger Schlosskonzerte liegt ein Gästebuch aus. Was wäre Ihr Lieblingseintrag?
„Sehr geehrte Gremien der Stiftung Bad Homburger Schlosskonzerte, hier ist meine Telefonnummer. Lassen Sie uns ein Treffen vereinbaren, in dem wir über die Sicherung der finanziellen Zukunft Ihrer Reihe sprechen. Ansonsten wünsche ich alles Gute zum 25. Jubiläum.“ [schmunzelt]
Und Sie selbst, Sie sind jetzt 60. Wie lange möchten Sie die Geschicke der Bad Homburger Schlosskonzerte noch lenken?
Das ist eine gute Frage. Darf ich mal in Ihre „Glaskugel“ schauen? [lacht] Im Ernst, die Bad Homburger Schlosskonzerte sind für mich das vielzitierte „Baby“. Aktuell bin ich noch fit und habe noch viel vor. Ich werde sicher andere Projekte, die ich künstlerisch leite, in den nächsten Jahren abgeben. Die Bad Homburger Schlosskonzerte gehören aber definitiv nicht dazu. Letzten Endes kommt es aber auch darauf an, ob das, was wir machen, auch in fünf oder zehn Jahren überhaupt noch gewollt ist und ob wir Menschen und Partner finden, die uns weiter unterstützen.
Lieber Herr Joerg, vielen Dank für die Einblicke in Ihre Arbeit und alles Gute für die nächsten 25 Jahre.
Die Fragen stellte Werner F. Münch.
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